München, 09.12.20 // Seit Anfang März dieses Jahres bietet der gemeinnützige Verein PSU Akut eine HELPLINE mit Psychosozialer Unterstützung (PSU) für Mitarbeitende im Gesundheitswesen an. Gesunde Mitarbeitende sind für jedes Krankenhaus, jede Praxis und jedes Pflegeheim essentiell. In Zeiten einer Pandemie ist die Belastung für Ärzte* und Pflegende allerdings besonders hoch, wobei eine PSU-Studie, im Auftrag des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA) im Jahr 2019 zeigte, dass sowohl Belastungen als auch der Unterstützungsbedarf, bereits vor der Pandemie hoch waren. Das Personal ist knapp, die Anforderungen steigen. Was passiert eigentlich, wenn die Belastung überhand nimmt oder schwerwiegende Ereignisse, wie dramatische Todesfälle, Bedrohung von Mitarbeitenden oder Schädigung von Patienten, das Personal zusätzlich belasten? Neben den Präventions- und Unterstützungsangeboten der Arbeitgeber bietet die kostenlose, anonyme und vertrauliche Beratung an der PSU HELPLINE, durch in kollegialer Unterstützung ausgebildete sog. Peers, zusätzliche Hilfe. Täglich von neun bis 21 Uhr besteht die Möglichkeit sich an die HELPLINE unter der kostenfreien Nummer 0800 0 911 912 zu wenden. Etwa 1400 Personen mit akutem Unterstützungsbedarf konnten in den letzten Monaten über die HELPLINE bereits Entlastung erfahren. Das PSU-Forschungsteam konnte, zusammen mit dem Berufsverband Deutscher Anästhesisten, zeigen, dass über drei Viertel der 1358 Befragten über dramatische und sehr belastende Ereignisse im Arbeitskontext berichteten. Den meisten Zuspruch erfuhren Angebote mit kollegialer Unterstützung in einem geschützten Rahmen. Genau hier setzt das PSU HELPLINE-Angebot von PSU an. In einem Gespräch mit einem sogenannten Peer, also einer Person mit einem ähnlichen beruflichen Hintergrund, erhalten die Anrufer Unterstützung auf Augenhöhe und Verständnis für die jeweiligen Umstände in ihrem Arbeitsumfeld. Bei Bedarf stehen den Anrufern auch approbierte Psychotherapeuten zur Verfügung. Neben dem Angebot der HELPLINE bietet PSU auch vor Ort Interventionen an und hilft Institutionen dabei, Psychosoziale Unterstützung für die Mitarbeitenden in der Organisation selbst zu etablieren. „Wir sind froh, dass wir, mit der telefonischen Beratung und der Unterstützung vor Ort ein zweigleisiges Angebot aufbauen konnten,“ so Andreas Igl, Geschäftsführer von PSU Akut e.V. und Leiter der PSU HELPLINE. „Der Bedarf ist groß und die Angebote vieler Arbeitgeber stecken leider noch in den Kinderschuhen oder können die erwünschte Anonymität nicht gewährleisten. Ich erlebe täglich, wie wichtig es ist, dass wir hier mit den HELPLINE-Angeboten unterstützen können. Die Leitung des Altenheims St. Franziskus in Kolbermoor hat sich nach einem COVID-19-Infektionsgeschehen bereits im Frühjahr Unterstützung geholt. Ein Betrag im ZDF-Mittagsmagazin vom 8. Dezember beschreibt die Situation in der Einrichtung, die Erfahrungen mit der Ausnahmesituation und den PSU-Hilfsangeboten. Link zum ZDF-Beitrag www.zdf.de/nachrichten/zdf-mittagsmagazin/corona-pandemie-pflegeheim-102.html *Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter. |
Hier finden Sie Testimonials unserer Arbeit um den Bedarf an Psychosozialer Unterstützung (PSU) zu veranschaulichen: |
Jakob Hartmann, Heimleiter des Caritas Altenheims St. Franziskus in Kolbermoor “Wir waren im Frühjahr von einem COVID-Infektionsgeschehen betroffen. 12 Bewohner sind infolgedessen, zum Teil unter dramatischen Bedingungen, verstorben. Auch 22 Mitarbeitende waren infiziert, mehrere davon hatten einen schweren Krankheitsverlauf. Trotz Angst und großer Anspannung arbeitet man aber erst einmal weiter und funktioniert. Die PSU-Angebote haben sowohl uns als Leitungsteam, wie auch den Mitarbeitenden geholfen, für das, was passiert ist, Worte zu finden und auszudrücken, was jeden Einzelnen belastet. Wichtig war auch, zu verstehen, dass Menschen in Ausnahmesituationen ganz unterschiedlich reagieren können. Also jemand, der die Ärmel hochkrempelt und einfach weitermacht, auch sehr belastet sein kann, genauso wie ein Mitarbeiter, der nicht zur Arbeit kommt, sich nicht drücken will, sondern große Angst hat. Dieses Verständnis war sehr wichtig für die Zusammenarbeit in den Teams nach der Krisenphase. wichtig für die Zusammenarbeit in den Teams nach der Krisenphase.“ |
Marie J. , Gesundheits- und Krankenpflegerin in der Schön Klinik „Während eines Nachtdienstes im Sommer kam es bei uns zu einer dramatischen Situation: Ein Patient war in suizidaler Absicht aus dem Fenster gesprungen. Das bedeutet erstmal Funktionieren: Erste Hilfe leisten, diensthabenden Arzt, Reanimationsteam und Rettungsdienst verständigen, Patienten auf Station beruhigen und die Leitung informieren. Ich habe in der Nacht schon gemerkt, wie sehr mich der Vorfall beschäftigt und dass ich Konzentrationsschwierigkeiten hatte. Meine Emotionen und Tränen kamen aber erst zwei Tage später. In unserem Haus gibt es ein PSU-System. Die Peers haben dann in den Tagen danach versucht, mit allen Beteiligten Kontakt aufzunehmen. Dabei war vor allem wichtig, dran zu bleiben, weil es bei einigen aus dem Team ein paar Tage gedauert hat, bis es für die gepasst hat, Unterstützung anzunehmen. Mir haben die Gespräche mit Kolleginnen sehr geholfen, diese Situation gut abzuschließen.“ |
Dr. med. Jürgen Lärmer, Notarzt, Oberarzt auf der Internistischen Intensivstation, München Klinik Schwabing “In meiner Tätigkeit als Notarzt kann ich selbstverständlich in einer Akutsituation für Betroffene oder Hinterbliebene auf die Hilfe der Krisenintervention im Rettungsdienst (KIT) zurückgreifen. Auch die Kollegen im Rettungsdienst können nach besonders belastenden Einsätzen kollegiale Unterstützungsangebote in Anspruch nehmen. Ich bin sehr froh, dass mittlerweile auch in unserer Klinik psychosoziale Unterstützung angeboten wird. Die PSU-Gruppeninterventionen haben uns als Team auf der COVID-Intensivstation wirklich unterstützt und entlastet.“ |
Auch hinter jedem HELPLINE-Anruf steht eine persönliche Geschichte: Hier ein paar Beispiele aus der HELPLINE-Beratungspraxis. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir keine Namen nennen. |
Intensivschwester, 38 Jahre Nach einem Verkehrsunfall verstirbt ein 11-jähriges Mädchen im Schockraum „Ich hatte schon mehrere Tage mit dem Gedanken gespielt, mich an die Helpline zu wenden. Abends, nach einem Glas Wein, habe ich dann meinen Mut zusammengenommen und angerufen. Ich hatte bei der Kollegin sehr schnell ein sicheres Gefühl, und da kam dann alles hoch: die ganze Dramatik der Situation, die verzweifelten Eltern und die Bilder des schwerverletzten Mädchens. Ich konnte besser darüber reden, als ich dachte. Danach war mir irgendwie leichter und ich konnte mit ihr überlegen, wie ich weiter mit meinen Reaktionen und meiner Angst umgehen kann. Mir wurde in dem Telefonat auch erst richtig bewusst, dass mich das Ganze so mitgenommen hat, weil ich selbst eine Tochter in ähnlichem Alter habe. Deshalb habe ich auch anders reagiert als meine Kollegen. |
Altenpflegerin, 51 Jahre Überlastungssituation in der Arbeit „Ich war die letzten drei Wochen schon total kaputt, wurde auch zweimal getestet, und war zum Glück immer negativ. Weil es nicht besser wurde, bin ich dann zu meinem Hausarzt. Aber der hatte mit seiner vollen Praxis auch nur kurz für mich Zeit. Als ich Zuhause war, hab´ ich erstmal nur noch geweint. Mein Mann und auch eine Kollegin haben mir dann geraten, anzurufen. Gut war für mich, dass ich in dem Gespräch nichts zurückhalten musste, man überlegt ja sonst schon, was sagt man alles, und kann der andere damit umgehen. Ich glaube wir haben so eine Dreiviertelstunde gesprochen und der Kollege hat mir dann empfohlen, noch mit einer Psychotherapeutin aus dem Helpline-Team zu sprechen. Die hat mich dann am nächsten Tag angerufen. Sie hilft mir jetzt dabei, dass ich mich wieder stabilisiere.” |
Assistenzarzt, 32 Jahre Bei einer Operation kommt es zu einer lebensgefährlichen Situation für den Patienten „Der ganze Tag war schon verkorkst. Dann kam die 38-jährige Patientin mit Blinddarmdurchbruch. Bei der Einleitung der Narkose hat die Patientin dann aspiriert: eine lebensgefährliche Situation. Wir haben das zwar gut hingekriegt, aber an mir nagten ziemliche Selbstzweifel. Auch hab´ ich mir immer gedacht, was wäre, wenn das schief gegangen wäre. Mit den Kollegen, mit denen ich mich schon gut verstehe, wollte ich nicht sprechen, irgendwie hatte ich Sorge, die halten mich für nicht geeignet für den Job. Verständnis für meine Situation habe ich erst durch den erfahrenen anästhesiologischen Kollegen der Helpline bekommen. Das fand ich sehr entlastend, auch weil er selbst schon ähnliche Situationen erlebt hat. “ |
Alle wichtigen Informationen, wer sich wann und wie an die HELPLINE wenden kann, finden Sie hier in einem PDF zum Download Für weitere Fragen wenden Sie sich bitte an Katharina Horn Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Tel. +49 172 695 63 29 katharina.horn@psu-akut.de © Fotos: privat |
Hier finden Sie die PM als PDF |
Die HELPLINE ist erreichbar unter: 0800 0 911 912 täglich von 09.00h bis 21.00h Die Nutzung der HELPLINE ist kostenfrei, vertraulich und anonym! |
PSU-Akut e.V. Adi-Maislinger-Str. 6-8 81373 München presse@psu-akut.de www.psu-akut.de |
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